“Le jeune Ahemd ” – jetzt im Kino
Ein 13-jähriger gerät in die Fänge eines radikalen Imam. Sein Fanatisierungsprozess schreitet schnell voran. Er betet regelmäßig, wäscht sich mehrmals täglich rituell die Hände. Beschimpft seine Mutter als Alkoholikerin und seine Schwester als Schlampe. Will seiner Nachhilfelehrerin nicht mehr die Hand geben. Und scheint bereit zu sein, für seinen Gott zu sterben und zu töten.
Der Junge heißt Ahmed. Er ist, Belgier, spricht französisch, kommt aus einer moderat muslimischen Einwandererfamilie, ist ein gewissenhafter Schüler – und im besten Alter, um Probleme zu machen. Er könnte auch Mustafa heißen oder Mohammed. Einer dieser Namen eben, mit dem viele Menschen der Mehrheitsgesellschaft Probleme verbinden.
Braucht es tatsächlich einen weiteren Film über einen (vermeintlich) radikalisierten Ahmed?
Andererseits: Keine klassische Problemgeschichte, keine psychologische Suche nach den Schwierigkeiten des stillen Jungen, keine vorschnellen oberflächlichen Kausalitäten.
Das ist erfrischend und öffnet den Raum für die eigene Spekulation und für Diskussionen. Über die vielfältigen Gründe solcher Geschichten, die eben keine einfachen sind. Sowohl Forschung als auch die Beratungspraxis zeigen eine außerordentliche Heterogenität von Biografien, Hintergründen und Motiven für Radikalisierungsprozesse von Heranwachsenden.
Ahmed ist ein 13-jähriger, der nach Orientierung sucht, eine Not verspürt, weil er seinen Emotionen keinen adäquaten Ausdruck verleihen kann, gefangen ist in seinem jugendlichen Köper.
Der Vater ist abwesend und taugt nicht als Identifikationsfigur. Auch nicht der ältere Bruder. Dafür aber zeigt die Idealisierung eines Cousin, der im „Dschihad“ gestorben ist, eine Wirkung auf Ahmed.
Ahmeds Mutter und seine Nachhilfelehrerin sind überforderte, aber auch beharrlichen Retterinnen. Sie bemerken den Entfremdungsprozess von Ahmed, benennen ihn und versuchen vergeblich, ihn dem Umfeld des Imams zu entreißen, indem sie zunehmend Druck auf den Jungen ausüben: „Du musst dich ändern“, sagt seine Mutter einmal. So eigenen sich die beiden Frauen als eine passende Projektionsfläche für Ahmed, wo er seine Ablehnungs- und Abwertungstendenzen ausleben kann. Einen besonderen Hass entwickelt er auf seine Nachhilfelehrern, weil sie einen Kurs anbietet, in dem die Kinder mit Hilfe von Liedern Alltagsarabisch lernen sollen – Ketzerei in den Augen des Imam. Ahmed entschließt, die Lehrerin umzubringen – sein ganz persönlicher Dschihad.
Der Mordversuch schlägt fehl, Ahmed wird in eine Jugendstrafanstalt gebracht.
In einem Interview über ihren Film, sagen die Brüder Dardenne, sie wollten der Frage nachgehen, wie ein fanatisierter junger Mensch resozialisiert werden kann. Eine Frage, auf die das Umfeld des jungen Ahmed keine Antwort findet, weder die Mutter, noch der Sozialarbeiter, noch die Psychologin. Einzig ein junges Mädchen in Ahmeds Alter kann ihn kurz aus seiner Verschlossenheit locken.
Das Potential von „Le Jeune Ahmed“ liegt genau darin, keine einfachen Antworten zu geben. Dass der Film gar keine gibt, ist in unserer Gesellschaft, die sich zunehmend polarisiert und geprägt ist vom Denken „Wir und die Anderen“ aber auch seine größte Gefahr.
Regie: Jean-Pierre und Luc Dardenne
Darsteller_innen: Idir Ben Addi, Olivier Bonnaud, Myriem Akheddiou
Land/Jahr: B/F 2019
Jetzt im Stadtkino