Beratungsstelle Extremismus: Thema “Corona-Virus und Extremismus”

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Thema “Corona-Virus und Extremismus”

Wie extremistische Gruppierungen das Virus für ihre Zwecke instrumentalisieren

Verschwörungstheorien und extremistische Weltbilder haben in Krisenzeiten Konjunktur, denn sie bieten vorgebliche Sicherheit und einfache Erklärungen für komplexe Fragen. Der Geschichtswissenschaftler Claus Oberhauser, der sich seit Jahren intensiv mit Verschwörungstheorien befasst, bezeichnet Verschwörungstheorien im Profil-Podcast als „Sinnautomaten“ in Zeiten der Krise.
Vor allem rechtsextreme, aber auch dschihadistische Gruppierungen nutzen das Corona-Virus, um ihre abwertenden und menschenverachtenden Weltanschauungen zu legitimieren.

Jihadismus und Corona-Virus

Laut dem US-amerikanischen Magazin „Homeland Security Today“ berichtet der sogenannte Islamische Staat (IS) schon seit Januar 2020 über das Corona-Virus und hatte zunächst den Ausbruch als Strafe Gottes für Chinas Umgang mit den Uiguren gefeiert: „Ein neues Virus verbreitet Tod und Terror in China und „das kommunistische China bricht in Panik aus“ hieß es im wöchentlichen IS-Newsletter „al-Naba“ demnach Anfang des Jahres.
Später wurde China kritisiert für seinen Umgang mit Zahlen in Bezug auf Tote und Genesene. In einer Ausgabe vom März 2020 schließlich gibt der IS Hygienetipps und warnt davor, in betroffene Gebiete zu fahren oder aus diesen auszureisen.
Medienberichten zufolge (ntv, abc-news) ist in weiteren Ausgaben des offiziellen Newsletters des IS die Rede davon, die Schwäche der westlichen Gesellschaft auszunutzen und nach Möglichkeit Anschläge zu verüben: „Das Letzte, das sie sich heute wünschen, ist, dass diese schwierige Zeit mit den Vorbereitungen der Soldaten des Kalifats für neue Anschläge zusammenfällt, ähnlich wie in Paris, London, Brüssel und anderswo“, wird al-Naba zitiert.
Ebenso wie der IS verbreitet auch Al-Quaida Propagandabotschaften. Beide bezeichnen das Unglück der Krankheit als göttliche Vergeltung, als Zorn Gottes und das Virus selbst als einen „Soldaten Allahs“.

Diese Meinung teilen salafistische Prediger wie Abdul Razzak al-Mahdi. Er twitterte schon im Jänner 2020: „China erklärte dem Islam und den Muslimen den Krieg und verfolgte die Uiguren, unsere Brüder. Allah gab ihnen einen Soldaten (den Virus, Anmerkung Beratungsstelle Extremismus). (…)   Aber niemand weiß über die Heerscharen deines Herren Bescheid außer Ihm. Und es ist nur eine Ermahnung für die Menschenwesen (Koranvers der Sura al-Muddattir, Vers 31, Anmerkung Beratungsstelle Extremismus). O Allah, erhöre ihr Leiden und ihre Not, bis sie aufhören deine Religion und deine Gläubigen zu bekämpfen.“ In einem Tweet vom März macht er China für die Ausbreitung des Corona-Virus verantwortlich: „China hat die Welt zweimal getäuscht: Erstens, als hunderttausend erkrankte Chinesen ins Ausland geschickt haben, um die Krankheit zu verbreiten (…) Als sie dann hunderttausende untaugliche Masken in die Welt geschickt haben, verschärften sie die Situation … Es besteht kein Zweifel, dass die Angelegenheit geplant war.“ Abdul Razzak al-Mahdi greift hier eine reale Gegebenheit (Lieferung von fehlerhaften Masken) auf, um seine Verschwörungstheorie zu unterfüttern – ein oft eingesetztes Mittel von Verschwörungstheorien .

In arabischen Medien werden zum Teil auch antisemitische Verschwörungstheorien verbreitet: Der algerische Nachrichtensender Al Masdar veröffentlichte eine solche unter der Schlagzeile: „Zionistische Organisation hinter dem „Corona”-Virus. Die Regierung der Organisation (Israel, Anmerkung Beratungsstelle Extremismus) behauptet, den Impfstoff entdeckt zu haben.“

Teilweise finden sich zudem homophobe Verschwörungstheorien. So meint der irakische radikale schiitische Geistliche Muqtada al-Sadr, die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe in vielen Ländern dieser Welt sei schuld am Ausbruch des Corona-Virus: „Eines der schrecklichsten Dinge, durch die diese Epidemie verursacht wurde, ist die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe. (…) Daher fordere ich alle Regierungen auf, dieses Gesetz sofort und ohne zu zögern aufzuheben.“

Religiöser Extremismus und Corona-Virus

Radikale muslimische Geistliche sind hier in guter Gesellschaft mit radikalen Führern anderer Religionen: Filaret Denyssenko, der Bischof und Ehrenpatriarch der Orthodoxen Kirche Russlands, behauptete in einem Fernsehinterview: „Die Ursache des Corona-Virus ist die Sündhaftigkeit der Menschheit. Die Menschen verteidigen nicht das Gute, sondern das Böse. Das Böse breitet sich aus. Ich meine vor allem die Homo-Ehe. Sie ist die Ursache des Corona-Virus und nicht nur sie. Den Kindern wird nahegelegt, ihr Geschlecht auszusuchen. Ist das das Gute?! Das ist das Böse.”
Der evangelikale Pastor Steven Andrea der USA Christian Church wiederum erklärte in einer Presseaussendung: „Unsere Sicherheit steht auf dem Spiel, da der nationale Ungehorsam gegenüber Gottes Gesetzen Gefahren und Krankheiten wie das Corona-Virus mit sich bringt, aber das Befolgen von Gott den Schutz des Bundes mit sich bringt (2. Mose 15:26)“. Gott werde die USA vor Gefahren schützen, wenn das Land LGBT (Lesbian – gay – bisexuell – transgender), falsche Götter, Abtreibung und andere Sünden bereue.
Die LGBT-Community macht auch der ultra-orthodoxe israelische Rabbiner Meir Mazuz für das Corona-Virus verantwortlich: Die Pandemie sei die göttliche Vergeltung für Homosexuellen-Paraden.

Rechtsextremismus und Corona-Virus

Die rechte Szene wiederum nimmt das Corona-Virus zum Anlass für rassistische Diffamierungen. So kursieren in den Social Media-Accounts Memes von AsiatInnen, die lebendige Fledermäuse essen oder es ist davon die Rede, dass das Virus schnell in Afrika ankommen solle, um möglichst viel schwarze Menschen zu töten. (Quelle: BELLTOWER)
Extremismus-Forscherin Julia Ebner beobachtet seit Jahren rechtsextreme Gruppen im Netz. Ihr fällt auf, dass besonders häufig Migrant_innen für das Virus verantwortlich gemacht und als Bedrohung dargestellt werden. (Quelle: Der Tagessspiegel)
So verknüpfen etwa auch die österreichischen Identitären die Themen „Corona-Virus“ und „Migration/Asyl“. Ihr Sprecher Martin Sellner postet auf Twitter Nachrichten über AsylwerberInnen, die ihre Quartiere trotz Quarantäne verlassen würden: „Erstaufnahmezentrum Traiskirchen 3 Coronafälle-Traiskirchner Asylquartier unter Quarantäne und trotzdem sinds unterwegs.“
Für einen Beleg gegen den von Sellner so genannten Multikulturalismus muss das Virus ebenso herhalten. In einem Video auf YouTube erklärt Sellner, „Multikulturalismus“ sei schlecht für die Demokratie und inhomogene Gesellschaften könnten schlechter mit Krisen wie der Corona-Pandemie umgehen, da sie nicht in „nationaler Solidarität“ zusammen stünden. Im schlimmsten Fall drohe ein „Bürgerkrieg“, da sich MigrantInnen nicht an die Quarantäne-Regeln halten würden und gewalttätig gegenüber der Polizei seien.
Um seine These zu untermauern, führt Sellner an: „In Frankreich gelten Corona-Gesetze nicht in Migrantenvierteln.“ Das „Klientel“ in diesen Vierteln würde aggressiv gegen die Polizei vorgehen. Auch in Österreich würden „türkischstämmige Bürger“ vor der Moschee eng beieinanderstehen.
Was Sellner nicht sagt: 17 % der wohlhabenden PariserInnen haben kurz vor dem Verhängen von Ausgangssperren die Stadt verlassen und sind in ihre Zweitwohnsitze gezogen. In den Banlieus, den Pariser Vorstädten, leben einkommensschwache, marginalisierte Menschen in überbelegten Wohnungen. Gestraft wird – entgegen Sellners Meldung in den Vorstädten besonders oft: In keiner Region Frankreichs sollen so viele Verstöße gegen die Einschränkung der Bewegungsfreiheit festgestellt worden sein wie in Seine-Saint-Denis, einem der Vororte von Paris, die zu Beginn der 2000er Jahre durch Jugendrevolten in die Schlagzeilen kam. (Quelle: Die Süddeutsche)
Das Corona-Virus verbreitet sich dort schneller als anderswo, die medizinische Infrastruktur ist schlecht. Romain Dufau, Notaufnahme-Leiter in Bondy, jenes Krankenhaus in Seine-Saint-Denis, das als erstes keine Betten mehr zur Verfügung stellen konnte, wird in der Süddeutschen zitiert: „Es ist nicht selten, dass hier Familien zu sechst auf 45 Quadratmetern leben, aus dieser Lage wollen die Jüngeren ausbrechen und gehen raus.“ Hinzu kämen viele illegal Beschäftigte, die keine finanzielle Absicherung haben, wenn sie zu Hause bleiben. „Diese Menschen haben keine Wahl und fahren weiter zur Arbeit”. Außerdem würden es Lieferdienste nicht in die Vororte schaffen.
Die Gegebenheit, dass Menschen aus sozial benachteiligten Schichten, oft mit Migrationshintergrund, häufiger gegen Ausgangsbeschränkungen verstoßen, wird in Sellners Argumentation dazu verwendet, um Vorurteile gegen sie zu schüren.
In eine ähnliche Kerbe  wie die österreichischen Identitären schlägt die deutsche AfD: „300 Moslems drängen sich vor #Moschee, obwohl #Senat wegen #Coronavirus Versammlungen mit mehr als 2 Teilnehmern untersagt hat. Grob unsolidarisch gegenüber allen Berlinern, die sich einschränken, um das Virus zu stoppen. Wer Religion über das #Gesetz stellt, gehört nicht zu Deutschland“ wird getwittert.

Rechte Parteien wie die AfD benutzen das Virus zudem, um ihren Ruf nach einem Aufnahmestopp von AslywerberInnen zu verstärken: AfD-Parteichef Jörg Meuthen fordert etwa das „konsequentes Durchsetzen der Einreisesperre auch für Asylbewerber”.
Ähnliches verlautbart die österreichische FPÖ: „Was diese EU-Kommission in Sachen Asyl daherschwadroniert, sollte uns völlig egal sein! Grenzen dicht für Illegale – jetzt!“, twittert die FPÖ Steiermark.
„Die Gesundheitskrise wird (…) als Argument für die Umsetzung altbekannter Forderungen instrumentalisiert: die temporäre Suspendierung (oder überhaupt die dauerhafte Abschaffung) des Asylrechts, mehr oder weniger dauerhafte Grenzschließungen, pauschale Ausgangssperren für Asylwerbende und eine Forcierung des Abschiebewesens“, analysiert das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) den Online-Diskurs in österreichischen rechten Medien. Weitere Themen, die sich laut DÖW immer wieder finden: Maßnahmen gegen die Pandemie werden als überschießende Eingriffe in bürgerliche Freiheiten betrachtet, Maßnahmen gegen Fake News und Desinformation wiederum als Einschränkung von Meinungsfreiheit. Die rechte Szene ortet aber auch positive Aspekte der Krise: „eine Renaissance volksgemeinschaftlicher Verbundenheit, einen Rollback vermeintlicher „Dekadenzerscheinungen“ in den Bereichen Geschlechterverhältnis und Sexualität und (…), dass der “Globalismus” gescheitert sei und durch eine Stärkung der Nationalstaaten überwunden werden müsse (…).“

Warnung des deutschen Verfassungsschutzes

Der Rechtsextremismus-Experte Mathias Quent konstatiert in der Wochenzeitschrift DIE ZEIT, auch für Deutschland, „dass Rechtsradikale, die Situation ausnutzen“, indem sie zum Beispiel eine generelle Schließung der Grenzen einfordern. „Sie verbinden die Corona-Krise mit der humanistischen Krise an der griechisch-türkischen Grenze und missbrauchen die Pandemie dazu, jede Aufnahme von geflüchteten Menschen in Notsituationen abzulehnen.“

In Deutschland warnt der Verfassungsschutz schon davor, dass rechte Kreise das Corona-Virus für ihre Ziele missbrauchen. In der„ZEIT“ sagt Thomas Haldenwang, der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz: Durch Rechtsradikale werden „Untergangszenarien in die Köpfe projiziert, um radikale Maßnahmen zu rechtfertigen. Rechtsextremistische Gruppierungen beschwören den Tag X eines Bürgerkrieges oder versuchen ihn durch Mord und Totschlag herbeizuführen.“ Der deutsche Verfassungsschutz berichte von zahlreichen rechtsextremistischen Bestrebungen und Anschlägen, die für sich beanspruchen, eine erfundene Katastrophe wie den „Volkstod“ oder den „großen Austausch“ verhindern zu wollen. Auch Anschläge seien nicht auszuschließen, berichtet RND- Redaktionsnetzwerk Deutschland. In einer Presseinformation beschreibt der niedersächsische Verfassungsschutz die Aktivitäten unterschiedlicher extremistischer Gruppierungen in Zeiten der Corona-Pandemie.

In Zusammenhang mit dem Corona-Virus haben in rechtsextremen Internet-Foren auch antisemitische Verschwörungstheorien Konjunktur. Die deutsche Amadeu Antonio Stiftung beobachtet die rechte Szene schon seit langem und berichtet auf ihrem Internetportal von zahleichen antisemitischen Kommentaren, Karikaturen und Narrativen die von der US-amerikanischen Anti-Defamation League gesammelt wurden und die Entstehung und Verbreitung von Corona durch Juden und Jüdinnen darstellen. Das Corona-Virus wird als Ergebnis einer elitären, meist jüdischen Weltverschwörung gesehen.

Pandemien und Verschwörungstheorien

Pandemien waren seit jeher ein beliebtes Thema für Verschwörungstheorien: In den 1980er Jahren verbreitete der sowjetische Geheimdienst die Theorie, AIDS sei von den USA als biologische Waffe entwickelt worden. Über die Spanische Grippe in den 1920er Jahren kursierten viele Annahmen, dass sie eine vom deutschen Militär entwickelte Waffe gewesen sei. Schon im 14. Jahrhundert wurden Juden und Jüdinnen verdächtigt, für die Pest verantwortlich zu sein, indem sie Brunnen vergiftet hätten: Pogrome in vielen mitteleuropäischen Städten waren die Folge.

Heute – in Zeiten der durch das Corona-Virus bedingten Ausgangssperren –haben extremistische Gruppierungen all ihre Aktivitäten ins Internet verlagert. Es gilt wachsam zu bleiben, Plattformen wie Facebook oder Twitter in die Pflicht zu nehmen, rassistische, abwertende Handlungen bei den entsprechenden Stellen (ZARA; Meldestellen des Bundesministeriums für Inneres, Beratungsstelle Extremismus) zu melden und Opfer von Hass und Hetze zu unterstützen.

Wachsam sein müssen wir aber auch, dass das “Extreme”, das wir oft am Rand der Gesellschaft verorten, nicht weiter eindringt in die Mitte der Gesellschaft.

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